• Deutsche Wirtschaft: „Stop & Go Modus“, auch im Jahr 2021, viele Effekte erst zeitversetzt sichtbar
  • Bruttoinlandsprodukt für Gesamtjahr 2020 bei -6%, Vorkrisenniveau wird voraussichtlich erst 2022 erreicht
  • Insolvenzen steigen in Deutschland ab Herbst – Löwenanteil allerdings zeitversetzt 2021
  • Vorsicht Zombies: Verschuldungsgrad stark gestiegen – Abnehmer entlang der gesamten Lieferkette laufen Gefahr, mit in den Abwärtssog zu geraten
  • Politische Risiken auf dem Vormarsch: USA, Großbritannien, Mittelmeer, Russland

Hamburg, 5. Oktober 2020 – Die deutsche Wirtschaft steht in der Covid-19-Pandemie besser da als viele andere Nationen: Mit -12% im Vergleich zu Q4 2019 ist die hiesige Wirtschaft weniger stark eingebrochen als ihre Pendants in Frankreich, Spanien, Italien oder Großbritannien, die allesamt ein Minus zwischen 18-24% verkraften mussten. Über den Sommer zeigte sich in manchen Branchen sogar eine kräftige Erholung als eine Art „Nachholeffekt“ nach dem Lockdown. Das sind erste positive Signale. Doch längst nicht alle Branchen kamen in den Genuss. Zudem ist ein solcher Einbruch etwas, das die deutsche Wirtschaft in diesem Ausmaß in der Nachkriegszeit nicht erlebt hat.

„Insgesamt erwarten wir für das Gesamtjahr 2020 ein Minus von 6% beim Bruttoinlandsprodukt (BIP), gefolgt von einer unvollständigen Erholung von 3,5% im kommenden Jahr“, sagt Katharina Utermöhl, Senior Volkswirtin bei Euler Hermes. „Das Vorkrisenniveau beim Bruttoinlandsprodukt wird Deutschland aller Voraussicht nach erst 2022 wieder erreichen.“

Wirtschaftliche Entwicklung: zähfließender Verkehr mit Stillstand und Staugefahr
In nächster Zeit versetzt Covid-19 die Wirtschaft eher in eine Art „Stop & Go“-Modus, bei dem die wirtschaftliche Erholung zeitweise nur langsam vorankommt und immer wieder anhalten muss:

„Auch wenn es im Sommer eine kleine Aufholjagd gab, wird uns Covid-19 noch länger begleiten, als uns lieb ist, und viele Effekte werden erst sehr zeitversetzt überhaupt sichtbar“, sagt Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Es stehen uns also noch einige Negativüberraschungen bevor, auch wenn es gerade in Deutschland auch einige überraschend positive Signale gibt wie beispielsweise die Erholung beim Warenverkehr.“

Bei steigenden Fallzahlen werden aller Voraussicht nach allerdings wieder mehr Einschränkungen kommen, bei sinkenden Zahlen Lockerungen - mit den jeweiligen Auswirkungen auf die Wirtschaft und Unternehmen. Mit einer nachhaltigen Erholungsdynamik am Arbeitsmarkt ist frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2021 zu rechnen – unter der Voraussetzung, dass es einen Impfstoff gibt.

„Die wirtschaftliche Entwicklung in Zeiten von Covid-19 kann man sich ein bisschen wie auf der A7 vor dem Elbtunnel vorstellen“, sagt Van het Hof. „Es herrscht definitiv Staugefahr und aktuell häufig zähfließender Verkehr, manchmal mit Stillstand. An manchen Tagen überraschend freie Fahrt und manchmal eine Vollsperrung. Dieser Zustand wird auch 2021 anhalten. Beim hiesigen Verkehr und leider auch bei Covid-19: Stop & Go.“

Insolvenzen: Deutschland mit voraussichtlich 11% mehr Insolvenzen bis 2021 vs. 2019
Diese nicht lineare Entwicklung durch die Pandemie bremst viele Unternehmen weiter aus, da sie wenig Planungssicherheit haben und viele eine schnelle Erholung nach dem bisherigen Jahresverlauf 2020 dringend bräuchten. Insofern wird es auch in Deutschland einen Anstieg bei den Pleiten geben – auch wenn er deutlich geringer ausfallen dürfte als in vielen anderen Ländern. Das sind gute Nachrichten. Dennoch sind auch hierzulande Jobs in Gefahr – nicht alle Kurzarbeiter werden in ihre Jobs zurückkehren.

„Wir gehen in den beiden Jahren bis 2021 von insgesamt 11% mehr Pleiten aus (2021 vs. 2019)“, sagt Van het Hof. „Der Löwenanteil dürfte mit +8% im kommenden Jahr liegen, für 2020 gehen wir von 3% mehr Insolvenzen aus. Angesichts der bis zum Sommer rückläufigen Fallzahlen in Deutschland bedeutet das aber auch, dass wir jetzt im Herbst eine Vielzahl an Pleiten sehen werden – auch weil die gesetzliche Schonfrist teilweise vorbei ist und die Insolvenzantragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen wieder gilt. Trotzdem hat sich die deutsche Wirtschaft bisher als recht robust erwiesen, was Hoffnung für die Zukunft gibt.“

Vorsicht Zombies! Gefahr für Abnehmer entlang der gesamten Lieferkette
Durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in einigen Ländern und zahlreiche staatliche Liquiditäts- und Sofortmaßnahmen im Zuge der Covid-19-Pandemie dürfte die Anzahl von sogenannten Zombie-Unternehmen weiter stark gestiegen sein.

„In der Krise ist der Verschuldungsgrad von vielen Unternehmen stark angestiegen“, sagt Van het Hof. „Inzwischen dürften also noch deutlich mehr Unternehmen in der „Zombie-Falle“ stecken als vor der Pandemie. Deren Abnehmer entlang der gesamten Lieferkette sind aktuell im Blindflug unterwegs und laufen damit Gefahr, mit in den Abwärtssog zu geraten. Es ist ganz entscheidend, sich auf höhere Kreditausfälle einzustellen und diese mit einzuplanen.“

In vielen anderen Ländern ist die Lage allerdings weitaus schlimmer. In den zwei Jahren bis 2021 geht Euler Hermes weltweit von einem Anstieg der Pleiten um rund ein Drittel aus (31% Anstieg 2021 vs. 2019). Trauriger Negativrekordhalter sind die USA mit einem kumulierten Anstieg der Insolvenzen um voraussichtlich 65% über die zwei Jahre. Auch Großbritannien (+36% 2021 vs. 2019), Spanien (+35%), Brasilien und die Niederlande (je +32%) oder auch die Türkei (+31%) trifft es besonders hart. Relativ gesehen kommt Deutschland also voraussichtlich deutlich besser aus der Krise. Ähnliche Insolvenzentwicklungen wie in der Bundesrepublik erwarten die Experten in Indien (+11%), Japan oder Australien (je +12%).

Exportnation Deutschland: Abhängigkeit vom globalen Handel, keine Wunderheilung in Sicht
„Deutschland steht besser da als viele andere Länder. Als Exportnation ist die Bundesrepublik allerdings seit jeher stark von internationalen Entwicklungen und dem Welthandel abhängig“, sagt Van het Hof. „Dass der Warenverkehr schon im Sommer überraschend stark angezogen hat, ist sicherlich eine gute Nachricht für viele der hiesigen Unternehmen. Die Service-Krise ist jedoch tiefgreifender. Insofern sind auch das Indikatoren, dass es angesichts der asynchronen globalen Konjunkturentwicklung weder in Deutschland noch beim Welthandel zu einer blitzartigen Erholung kommen wird. Die Erholung wird eher langsam vonstatten gehen.“

Insbesondere zwei wichtige Handelspartner, Großbritannien und die USA, die 2019 zusammen etwa 15% aller deutschen Exporte ausgemacht haben, zeigen nur eine sehr geringe Nachfrage nach deutschen Produkten.

Politische Risiken auf dem Vormarsch: Vorsicht geboten, auch bei deutschen Handelspartnern
Die politischen Risiken mit den bevorstehenden US-Wahlen und der Gefahr eines „No-Deal-Brexits“ bergen für die Zukunft zudem erhebliche Risiken für den Handel mit den beiden Ländern. Politische Risiken steigen in der aktuellen Krisenzeit aber nicht nur in den USA oder Großbritannien.

„In Krisenzeiten sind auch oft politische Risiken auf dem Vormarsch“, sagt Utermöhl. „Zu den Risiken in den USA kommen beispielsweise Spannungen mit Russland und im Mittelmeer. Auch der Konflikt zwischen den USA und China dürfte 2021 in die nächste Runde gehen. In die nächste Runde in einer beinahe unendlichen Geschichte gehen auch die Brexit-Verhandlungen. Inzwischen liegt die Gefahr eines Austritts ohne Handelsabkommen bei 45%.“

Die vollständige Studie zur wirtschaftlichen Entwicklung in Zeiten von Covid-19 finden Sie hier:

Wirtschaftliche Entwicklung in Zeiten von Covid-19 (Englisch): Report

Wirtschaftliche Entwicklung in Zeiten von Covid-19 (Englisch): Präsentation


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