Kartelle, Korruption oder schlecht verhandelter Kaufvertrag - wenn im Unternehmen etwas schiefläuft, haftet der Chef in bestimmten Fällen persönlich. Dabei spielt es keine Rolle, ob er die Fehler selbst begeht - wer seine Organisation nicht im Griff hat, muss für Schäden aufkommen.
Voller Selbstvertrauen krempelt der junge Geschäftsführer das Bauunternehmen um. Bei Projekten mit staatlichen Auftraggebern gibt es erste Erfolge, vor allem in den Boom-Regionen Afrikas und Asiens. Die Bilanzen glänzen - bis eine Korruptionsaffäre das Unternehmen trifft. Vertriebsleute haben ausländische Beamte geschmiert, um an lukrative Aufträge zu kommen. Ermittler nehmen ihre Arbeit auf, das Unternehmen muss eine empfindliche Strafe zahlen. Der Chef wird entlassen – und vom ehemaligen Arbeitgeber auf Schadenersatz verklagt.
Dieser Fall könnte sich so in deutschen Unternehmen abspielen. Denn Manager dürfen hierzulande für Vergehen verantwortlich gemacht werden, die nicht sie, sondern ihre Mitarbeiter begangen haben. Dazu kann es kommen, wenn im Unternehmen keine wirksame Kontrolle gegen Regelverstöße existiert. „Schon bei leichter Fahrlässigkeit haften Spitzenmanager in bestimmten Fällen unbegrenzt mit ihrem Privatvermögen“, sagt Henning Schaloske, Partner der internationalen Wirtschaftskanzlei Clyde&Co.
Unternehmen haben keine Wahl
Experten schätzen, dass rund 90 Prozent der Fälle von Managerhaftung in Deutschland auf einem Innenregress beruhen. Zwar macht es keinen guten Eindruck, wenn Firmen die Fehler ihrer Führungskräfte in jahrelangen Rechtsstreits breit treten. „Doch die Unternehmen haben meist keine Wahl“, sagt Stephan Kammertöns, Global Head of Financial Lines Claims bei der AGCS, dem Spezial- und Industrieversicherer der Allianz-Gruppe. Sowohl im Aktien- als auch im GmbH-Gesetz steht, dass Manager, die ihre Sorgfaltspflichten verletzen, daraus entstandene Schäden ersetzen müssen.
Besonders streng sind die Vorschriften für börsennotierte Gesellschaften. Aufsichtsräte, die Fehler ihrer Vorstände durchgehen lassen, müssen dafür gerade stehen. Grundlage ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 1997. Die Richter entschieden damals, dass der Aufsichtsrat den Vorstand bei Verdacht auf Pflichtverletzungen auf jeden Fall belangen muss. Bleibt der Aufsichtsrat untätig, haftet er selbst. Nur wenn wichtige Gründe des Unternehmenswohls entgegenstehen, kann das Kontrollgremium davon absehen. In der Praxis lässt sich das nicht immer belegen. Deshalb neigen Aufsichtsräte dazu, im Zweifelsfall lieber einmal mehr Schadenersatz von gescheiterten Managern zu fordern.
Der Trend schlägt sich in Zahlen nieder. Allein bei der AGCS hat sich die Zahl der Schadensfälle für Directors & Officers-Versicherungen zwischen 1996 und 2016 von 40 auf 120 verdreifacht. D&O-Policen schließen Manager ab, um sich vor den finanziellen Folgen von Führungsfehlern zu schützen.
Kulturwandel verschärft Rechtslage
Die Fälle können ganz unterschiedlich liegen. Zu den Klassikern gehört der Chef des mittelständischen Unternehmens, der eine Firma kaufen will und darauf vertraut, dass seine Berater die Bücher gründlich geprüft haben. Geht die Übernahme schief, weil versteckte Verluste übersehen wurden, stellt sich die Frage, ob der Geschäftsführer seine Sorgfaltspflichten verletzt hat. Besteht der Verdacht, kann das Unternehmen Schadenersatz von ihm verlangen.
Bei großen Unternehmen kann es um sehr hohe Summen gehen. Ein deutscher Stahlkonzern wurde zum Beispiel vor drei Jahren wegen illegaler Preisabsprachen zu einer Strafe von 290 Millionen Euro verurteilt. Diesen Betrag fordert er nun von dem damals verantwortlichen Vorstandsmitglied zurück. Der Rechtsstreit läuft seit Jahren. Ein Ende ist nicht absehbar.
Das deutsche Haftungsrecht für Manager gilt unter Fachleuten als streng. Hinzu kommt, dass sich Ermittler immer stärker auf Delikte konzentrieren, bei denen sie vor 20 Jahren ein Auge zugedrückt haben. Illegale Preisabsprachen und Korruption gelten längst nicht mehr als Kavaliersdelikte, sondern als schwere Vergehen. Entsprechend streng gehen Staatsanwälte vor. In den vergangenen Jahren haben sie gründliches Fachwissen erworben und erfahrenes Personal eingestellt. Dieser Kulturwandel hat dazu beigetragen, dass Gerichte strengere Urteile gegen Unternehmen fällen – und Anlass zu Schadenersatzklagen gegen Manager geben.
Undurchdringlicher Regelwald
Zugleich wächst das Fehlerrisiko in den Führungsetagen. Grund sind immer neue Gesetze und Vorschriften, die Unternehmer beachten müssen. „Die Regulierungsdichte steigt in zahlreichen Rechtsbereichen“, bestätigt Schaloske. Ein Beispiel ist die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Bei schweren Verstößen erlaubt sie Strafen zwischen zwei und vier Prozent des weltweiten Umsatzes. Auch für Mittelständler können so hohe Kosten entstehen - und die Frage, wer dafür gerade stehen muss.
Dasselbe gilt für Imageschäden. Der Ruf einer Firma leidet nicht nur, wenn sie bestraft wird, sondern auch, wenn ihre Lieferanten Sozialstandards missachten oder die Umwelt schädigen. Ziehen sich Kunden zurück und bricht der Absatz deshalb ein, kann die Existenz des Unternehmens gefährdet sein und die Schadenersatzforderung entsprechend hoch ausfallen.
Kontrolliertes Vertrauen
Lieferanten zu kontrollieren, ist schwierig. Deshalb versuchen Unternehmen ihre Zulieferer auf einen Verhaltenskodex zu verpflichten. Er ist Teil eines Compliance Management Systems (CMS), das auch die Einhaltung von Regeln in der eigenen Firma überwacht. Zu einem modernen CMS gehören interne Schulungen über Verhaltensregeln, aber auch die Kontrolle von Abläufen, wie etwa die Überweisung hoher Geldsummen. Und sie sehen häufig eine Whistleblower-Hotline vor – also eine Anlaufstelle für Mitarbeiter, die Regelverstöße anonym melden wollen.
Kommt es zur Schadenersatzklage gegen einen Manager, ist oft entscheidend, ob dieses Kontrollsystem Lücken hatte und ob der Manager dafür verantwortlich war. Das ist in der Praxis nicht immer zu klären. Denn wer kann im Nachhinein sagen, ob ein Online-Kurs ausreicht, um die Belegschaft mit den wichtigsten Compliance-Regeln vertraut zu machen oder ob die Whistleblower-Hotline tatsächlich immer besetzt war? Hinzu kommt, dass es eine Beweislastumkehr gibt: Beklagte Manager müssen nachweisen, dass sie unschuldig sind - eine Herausforderung, wenn komplizierte Sachverhalte schon lange zurückliegen und Dokumente nicht mehr auffindbar sind.
Die Streitigkeiten sind kräftezehrend und die Ergebnisse kaum vorherzusagen. Selten wird deshalb ein Manager endgültig seine Unschuld beweisen, wenn man gegen ihn klagt. In der Regel steht am Ende kein Urteil, sondern ein Vergleich - und das heißt in den meisten Fällen: Bezahlen für die Fehler Anderer.